„The Dream of Gerontius“: Gewaltige Rarität im Krönungssaal
Von Pedro Obiera
Aachen. Edward Elgars Oratorium „The Dream of Gerontius“ (Der Traum des Gerontius) führt in England mit Händels „Messias“ und Mendelssohns „Elias“ die Hitliste der Chorwerke an. In Deutschland macht sich das Werk rar, obwohl es seinen ersten großen Erfolg ab 1901 einer Aufführung in Düsseldorf zu verdanken hat.
Georg Hage wagte sich jetzt an der Spitze des Aachener Bachvereins und des Aachener Sinfonieorchesters an die gewaltige Rarität heran und wurde der schwierigen Aufgabe im voll besetzten Krönungssaal des Aachener Rathauses vollauf gerecht.
Der Text geht auf eine gekürzte Versvorlage des englischen Kardinals John Henry Newman zurück, in der der alte Gerontius seinem Tod entgegensieht und von einem Engel durch verschiedene Orte zum Jüngsten Gericht und letztlich ins Fegefeuer geführt wird.
Dass sich Elgar nicht an der Chor-Tradition Händels orientierte, sondern an den Musikdramen Wagners, führte nicht nur in England zu Irritationen. An den unverkennbaren Bezügen zu Wagners „Parsifal“ im umfangreichen Orchestervorspiel sind deutsche Ohren in Sachen Chormusik bis heute nicht gewohnt. Differenziert und ausladend formte Elgar den Orchesterpart mit den tüchtigen Aachener Sinfonikern. Allerdings setzen die akustischen Gegebenheiten des Krönungssaals großbesetzter symphonischer Musik Grenzen und die Sänger, sowohl der Chor als auch die vorzüglichen Solisten, hatten es nicht immer leicht, sich gegen die orchestralen Wogen durchzusetzen.
Das brachte vor allem den englischen Tenor Stephen Chaundy in der Titelpartie in Verlegenheit, der kurzfristig eingesprungen ist. Chaundy verfügt über eine helle, schlanke und kultivierte Tenorstimme in bester englischer Tradition und gestaltete seinen vor allem im ersten Teil kräftezehrenden Part intelligent und makellos, sah sich angesichts der instrumentalen Gegenkräfte allerdings zu einem Dauerforte gezwungen. Die beiden kurzen, aber effektvollen Einlagen des Priesters und des „Engels der Qual“ stemmte der Bassist Raimund Nolte mit seinem kraftvollen Bass mühelos.
Marion Eckstein als Engel verströmte ihren warmen Mezzo mit gewohnter Delikatesse, auch wenn sie sich vom Orchester bisweilen in leichte Bedrängnis bringen ließ. Der anspruchsvolle Chorpart verlangt den Sängern ein hohes Maß an Flexibilität ab. Vom leicht plakativ fugierten Hymnus „Praise to the Holiest“ bis zu zarten „Stimmen auf der Erde“ und „Seelen am Ort der Reinigung“ muss es stilistisch zwischen opernhaftem Pathos und spiritueller Schwerelosigkeit wechseln. Keine Frage, dass der Bachverein auch diese Herausforderungen meistern konnte, so dass die Begegnung mit diesem etwas seltsamen Beitrag der Chorliteratur rundum lohnend ausgefallen ist.
Entsprechend begeistert fiel der Applaus des Publikums nach gut 90 hoch konzentrierten Konzertminuten aus.