Spannende Begegnung

Cavallis "Missa pro defunctis" in der Annakirche

Von Thomas Beaujean

Aachen. Es ist ein großes Verdienst von Annakantor Georg Hage, dass er sein Publikum immer wieder mit Werken bekannt macht, die außerhalb des gängigen Repertoires liegen. So war es kürzlich mit Edgar Elgars Oratorium „The Kingdom“ mit dem „großen“ Bachverein im Krönungssaal, so war es jetzt mit dem Kammerchor des Bachvereins mit Francesco Cavallis „Missa pro defunctis“ in der vollbesetzten Annakirche. Dieses frühbarocke Requiem wurde eingerahmt von Johann Sebastian Bachs doppelchöriger Motette „Komm Jesu, komm“ und dem Schlusschoral „Es ist genug“ aus Bachs Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“. Hage konfrontierte die beiden Bach-Werke mit Vertonungen der gleichen Texte durch den schwedischen Komponisten Sven-David Sandström, insgesamt eine höchst stringente und spannende Programmgestaltung. Cavalli, Schüler von Claudio Monteverdi und später einer seiner Nachfolger als Kapellmeister an San Marco in Venedig, äußerst produktiver, bahnbrechender und in Venedig gefeierter Opernkomponist, kehrte am Ende seines Lebens zu seinen Wurzeln als Kirchenmusiker zurück und schrieb sein doppelchöriges Requiem für seine eigene Begräbnisfeier in bewusst traditionellem motettischen Stil. Das Werk ist eine Abfolge von meist kurzen, abwechselnd imitatorisch durchgeführten und homophonen Chorsätzen, in denen sich immer wieder solistisch besetzte Ensembles aus dem Gesamtverbund herauslösen. Eine Begegnung mit einem höchst interessanten und hörenswerten Werk, das im Kammerchor des Bachvereins einen äußerst versierten, die Achtstimmigkeit problemlos und klangschön meisternden Vokalapparat fand.

Hage hatte sich bei der Instrumentalbesetzung auf eine Continuo-Besetzung mit Violoncello, Violone, Laute und Orgel beschränkt. Das war legitim und stilistisch korrekt, obwohl eine vom Komponisten gewünschte größere instrumentale Besetzung dem Ganzen sicherlich noch mehr Farbe verliehen hätte. Die vier Musiker des Ensembles für Alte Musik „arcipelago“ machten ihre Sache jedenfalls ausgezeichnet. Hages Interpretation der Motette „Komm Jesu, komm“, eine der großen sechs überlieferten Motetten Bachs, war geprägt von schlanker, biegsamer Tongebung, sorgfältiger Phrasierung und einem frischen, bis zum Schlusschoral durchgehaltenen Tempo. Sehr sachlich geriet auch die Wiedergabe des Chorals „Es ist genug“ am Schluss.

Seine imponierende Leistungsfähigkeit und musikalische Intelligenz bewies der Chor bei der Wiedergabe der beiden Motetten von Sandström, die in ihrem Wechsel von Linearität, Klangvedichtung bis zu Clusterbildungen von größter Expressivität einem Chor ein Höchstmaß an Klangvolumen und Intonationssicherheit abverlangen. Bewundernswert, mit welcher Souveränität Chor und Dirigent diese Herausforderungen meisterten. Entsprechend begeistert war denn auch der Schlussbeifall.

Aachener Nachrichten, 03.05.2018